Große Möglichkeiten in unentdeckten Räumen

Große Möglichkeiten in unentdeckten Räumen

Ein Gespräch mit Prof. Johannes Kister,
Professor für Entwerfen und Baukonstruktion
an der Hochschule Anhalt, Standort Dessau,
Fachbereich Architektur, Facility Management und Geoinformation,

über die Schönheit von Zeitz,
ihre Potenziale und Perspektiven.

„Strukturwandel“ ist das Wort der Stunde im Zusammenhang mit einem Projekt, das
Sachsen-Anhalt im Rahmen der Initiative „Neues Europäisches Bauhaus“ (NEB) bei der EU
in Brüssel eingereicht hat. Erarbeitet wurde der Antrag von einem Netzwerk von Partnern,
dem neben anderen auch die Hochschule Anhalt angehört. Warum?

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Prof. Johannes Kister: Wegen der hohen Aktualität! Die Frage nach einem Neuen Europäischen Bauhaus, die EU-Präsidentin Ursula von der Leyen angesichts der brennenden Herausforderungen der Zeit gestellt hat, spricht uns als Hochschule unmittelbar an. Denn wir lehren am Standort des historischen Bauhauses in Dessau, konkret in den Fachbereichen Städtebau, Architektur und Design. Und auch wenn es lange her ist: Die gesellschaftlichen
Fragen, die Walter Gropius und die Gruppe der Meister einst antrieben, ob bezahlbarer Wohnraum oder gestalteter Lebensraum, waren immer Antworten in der jeweiligen Zeit und sind heute nicht abschließend gelöst. Im Gegenteil. Nicht nur alte Fragen sind heute wieder aktuell, sondern es gesellt sich eine weitere hinzu: die Ökologie.

Ein spannender Cocktail.

Prof. Johannes Kister: Durchaus. Und den tragen wir sowohl in den Unterricht als auch in die Köpfe und Herzen der Studierenden. Sie sind jene Generation, die sich mit genau diesen Fragestellungen in ihrer späteren Tätigkeit befassen und dafür Lösungen finden muss. Wir führen sie Stück für Stück an die Realität heran..

Realität heißt konkret Strukturwandel?

Prof. Johannes Kister: … der sich in und um Zeitz besonders zeigt. Es ist eine Region, die bereits mehrfach Strukturbrüche erlebte. Wir sehen hier eine prototypartige Situation, die sich auf viele Orte weltweit übertragen lässt.

Inwiefern?

Prof. Johannes Kister: Zeitz ist trotz ihrer offensichtlichen Wunden eine wunderbare Stadt samt reizvoller Umgebung. Hier ist noch Platz für viel und damit ein wahrer Gegenentwurf zu Metropolen, wo Lebensraum knapp und teuer ist. Das als Chance zu begreifen und dabei nicht nur auf die „eigenen vier Wände“, sondern auch das soziale Miteinander etwa auf genossenschaftlicher Basis zu schauen, untersuchen wir gegenwärtig gemeinsam mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Stichworte dafür sind Neue Communities, Urban Gardening oder der Gemeinschaftsplatz, der nicht nur schön gestaltet, sondern wieder ein aktiver Ort wie der Dorfanger ist.

Warum die gute alte Genossenschaft?

Prof. Johannes Kister: (Wohnungs-)Genossenschaften sind immer dort entstanden, wo die Arbeit war. Unsere heutige digitale Arbeits- und Kommunikationswelt öffnet Räume für Modelle, die Arbeit und Wohnen in Balance mit Kindern, Kultur und Gemeinschaft völlig neu zusammendenken. Das ist für junge Menschen, das ist für den ländlichen Raum eine realistische, erstrebenswerte Perspektive. Wenn ich noch am Anfang meiner Lebensplanung stünde, wäre Zeitz eine echte Option. Eine Stadt mit großen Möglichkeiten in noch unentdeckten Räumen!

… wie jene der ehemaligen ZEKIWA-Fabrik? Das Areal steht ja nicht nur im Mittelpunkt des Sachsen-Anhalt-Projekts, sondern auch bei den Masterarbeiten Ihres internationalen Studiengangs. Wie haben die Studierenden Stadt und Aufgabe aufgenommen?

Prof. Johannes Kister: Man muss sich vorstellen, man kommt als Student aus Indien oder aus einer großen südamerikanischen Stadt, also aus förmlich überquellenden Lebensräumen, nach Sachsen-Anhalt, nach Dessau und dann nach Zeitz. Man kann sich den Kontrast lebhaft vorstellen. Da ist Staunen, aber auch Verwunderung: Wie kann so etwas passieren, was bedeutet dieser Bruch? Und dann ist da die alte ZEKIWA und der normale Impuls von Architekten setzt ein: Bauherr. Grundstück. Bedarf. Dass aber genau diese Mechanik …

… hier nicht funktioniert …,

Prof. Johannes Kister: … sondern es darum geht, etwas „zu erfinden“, das den Bedarf hervorbringt, das ist die Herausforderung! Was wäre richtig für den Ort, was ist der Maßstab? Wie dicht baut man? Mit welchen Baustoffen? Was zieht Menschen an? Was kann dabei eine genossenschaftliche Struktur bewirken? Und was ist nachhaltig, ökologisch – und modellhaft? Das ist die Suche, die uns gemeinsam mit den Zeitzer*innen umtreibt.

Und das Ziel?

Prof. Johannes Kister: Wenn es gelingt, für die demografische Entwicklung in Stadt und Region einen Umkehreffekt zu erzeugen! Dafür braucht es junge Familien, junge Leute, die sich von attraktiven Magneten von Arbeit bis Angebot angezogen fühlen und kommen. Das müssen wir entwickeln, fördern. Im Einklang mit der Natur. In Zeitz.

Vielen Dank! Das Gespräch führte Cornelia Heller.

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