„Das hat Kraft!“

„DAS HAT KRAFT!“

Ein Interview mit Christian Thieme,
Oberbürgermeister der Stadt Zeitz

Über Sichtbarkeit,
das Vertrauen in die eigene Kraft
und warum es sich lohnt, hierher zu kommen –
und zu bleiben

Die Augen von Land, Bund und Europa haben sich auf Ihre Stadt gerichtet. Der beschlossene Kohleausstieg trifft ganze Regionen und Zeitz unmittelbar. Und es hat sich rumgesprochen: Mit Hilfe der avisierten Fördermittel öffnen sich ersehnte Chancen für zukunftsgerichtete Veränderung. Ziehen wir ein erstes Fazit: Wo ist Strukturwandel begreifbar, wo sind Erfolge sichtbar?

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CHRISTIAN THIEME: Sichtbarkeit ist ein gutes Stichwort. Denn unter der Oberfläche passiert jenseits der öffentlichen Wahrnehmung viel. Und das Viele ist natürlich noch nicht fertig, denn wir stehen noch ganz am Anfang. Aber wer genau hinschaut, der findet unzählige Entwicklungen, Baustellen und bereits Leuchttürme.

Woran denken Sie da genau?

Christian Thieme: Nehmen wir das Digitalisierungszentrum, das im September 2020 seine Arbeit aufnehmen konnte und uns auf dem Weg zu einer Smart City begleitet. Oder: Nach langem Leerstand und Verfall wird das ehemalige ZeKiWa-Hauptgebäude zum Archiv der Stadt umgebaut. Das noch brache Restareal der einstigen Kinderwagenfabrik mit seinen über rund 37.000 m² stand im Fokus der sachsen-anhaltischen Bewerbung zum Neuen Europäischen Bauhaus. Das hat Perspektiven eröffnet, um Dinge in einem größeren Zusammenhang zu denken. Oder: Der erste Bauabschnitt der Sekundarschule III/Grundschule Stadtmitte steht kurz vor seiner Fertigstellung und der Schulstandort wird im Weiteren als Bildungscampus für die Zukunft fit gemacht. Unser Gymnasium steht kurz vor der Fertigstellung und wird gerade durch den Burgenlandkreis saniert. Und für das Museum Brikettfabrik Herrmannschacht ist erst vor wenigen Tagen ein Entwicklungs- und Nutzungskonzept vorgelegt worden, das Industriekultur in eine neue Qualität hebt…
Die Stadt ist in Bewegung.

Viele Menschen engagieren sich mit ihren Initiativen und Ideen in dem Prozess.

Christian Thieme: Wohin man schaut, sind Engagierte und Kreative an ihrem Platz und darüber hinaus aktiv. Das hat Kraft! Schauen Sie in die Hallen der GfM Gesellschaft für Mittelstand, die sich der Berufsorientierung und -findung unserer Jugendlichen verpflichtet hat und so für den dringend benötigten Fachkräftenachwuchs einsetzt. Das Kunsthaus in der Rahnestraße, die „Nudel“ als „Kreativzentrum“, Kloster Posa oder der Co-Working-Space WOW am Roßmarkt 13a, ein Haus, in dem nicht nur das MVZ für mehr Leben in der Innenstadt sorgen, sondern auch das Projektbüro „Stadt der Zukunft Zeitz“ ab Herbst 2022 im WOW arbeiten wird – das alles sind Erfolgsgeschichten.

Für manchen ist das immer noch zu wenig.

Christian Thieme: Und das ist auch verständlich, denn das, was Zeitz dringend braucht, ist Zuzug und Arbeit. Für Arbeitsplätze, die durch den Kohleausstieg wegfallenden, müssen neue zukunftsorientierte entstehen. Vorhandenes Gewerbe sowie die Industrie zu fördern und zu unterstützen und neue Gewerbeflächen für die Neuansiedlung von Firmen auszuweisen, ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Wirtschaftsentwicklung. Wir arbeiten daran, dass sich Firmen mit nachhaltigen Geschäftsideen und zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen für Zeitz und die Region begeistern. Die Digitalisierung dabei als treibende Kraft zu verstehen, ist genauso wichtig, wie das Thema der Mobilität mit dem lang ersehnten S-Bahn-Anschluss oder der Ausbau der erneuerbaren Energien mit zukunftssicheren Technologien wie zum Bespiel Wasserstoff.

Ihr größtes Pfund dabei?

Christian Thieme: … unsere historisch gewachsene und an vielen Plätzen bereits sanierte Stadt in landschaftlich schönster Lage! Viele der wertvollen Gebäude stehen leer, aber sie warten. Sie warten auf Bauherren mit Mut und Gründersinn. Wenn es uns gelingt, den längst laufenden Strukturwandelprozess zu nutzen und Zeitz mit guten und besten Angeboten in Bildung, in Sozialem, in Kultur sowie mit gelebtem Natur- und Umweltschutz attraktiver, lebens- und liebenswerter zu gestalten und das auch noch professionell in die Welt zu tragen – dann haben wir beste Argumente für Firmen und Familien, zu kommen, um zu bleiben. Davon bin ich überzeugt.

Menschen, die Zeitz besuchen, schwärmen von der Stadt und ihrem sichtbaren Mut zur Selbsthilfe. Der Zeitzer selbst hat da gelegentlich eine andere Wahrnehmung, oder?

Christian Thieme: Vielleicht ist es unsere größte Herausforderung, angesichts der gegenwärtig teils auch verstörenden Wirren in der Welt jeden noch so kleinen erfolgreich gemeisterten Meilenstein auf dem Weg in eine neue Zeit mehr zu feiern. Und weniger auf das zu schauen, was gerade nicht funktioniert oder noch nicht so wie gewünscht ist. Das würde – neben den beglückenden Stimmen der auswärtigen Gäste – zu mehr Selbstbewusstsein beitragen. Der Zeitzer ist ein „Stehaufmännchen“ und schafft aus eigener Kraft. Nehmen wir es also beim Wort: Veränderung bedeutet Fortschritt, Entwicklung, Zukunft. Genau da wollen wir hin.

Danke für das Gespräch.

Das Interview führte Cornelia Heller.

Fotos: Stadt Zeitz (1), Reiner Eckel (4)

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